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Buchvorstellungen im Traunspiegel

In jeder Ausgabe der Zeitschrift "Traunspiegel" wird eine Buchvorstellung veröffentlicht.
(Seit 2022 erscheint die Zeitschrift vierteljährlich oder weniger.)
Die Buchtipps, für Sie gelesen, kommen abwechselnd aus den Öffentlichen Bibliotheken Abersee, Bad Goisern, Bad Ischl, Ebensee, Hallstatt, Pfandl, Strobl und aus St. Wolfgang.

   Bernd Moser, unser Spezialist für die "Bücher des Monats", hat bei uns diese Aufgabe übernommen.

   Seine Buchvorstellungen können Sie hier gerne nachlesen, anklicken und gleich reservieren.

 

 

Traunspiegel im Dezember 2021

Schwester, von Mareike Krügel, erschienen 2021 im Piper Verlag

Iulia ist verheiratet mit Nils, einem evangelischen Pastor. Alle Rollen, die ihr das Leben zugewiesen hat, spielt sie perfekt; jene der Mutter, jene der Ehefrau und jene der Gemahlin eines Pfarrers. Auch in ihrem Beruf als Bankkauffrau ist sie erfolgreich. Eines Tages bekommt sie die niederschmetternde Nachricht, dass ihre Schwester Lone, eine freiberufliche Hebamme, nach einem unerklärlichen Frontalzusammenstoß mit einem Traktor auf der Intensivstation im Koma liegt. Während der Vater und die Stiefmutter am Bett der Patientin wachen, besucht Iulia die verwaiste Wohnung ihrer Schwester. Sie packt die Taschen ihrer Schwester, besucht jene Frauen, die ihre Schwester als Hebamme betreut und versucht ihnen zu helfen. Je weiter Iulia in die Arbeit und in das Leben ihrer Schwester eintaucht, desto mehr stellt sie ihr eigenes Leben in Frage und merkt, dass sie eine große Sehnsucht nach Veränderung verspürt.

In klarer, schnörkelloser Sprache erzählt Mareike Krügel von diesem entscheidenden Einschnitt in Iulias Leben. Dabei spielen die Gespräche mit Lones Frauen eine entscheidende Rolle. Insbesondere die Darstellung der Freuden, Ängste und Bedürfnisse schwangerer Frauen und Mütter sind treffend beschrieben.
Mareike Krügel, geboren 1977 in Kiel, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und lebt heute als freie Autorin in der Nähe von Schleswig.

Traunspiegel im März 2021

Gipskind, von Gabriele Kögl, erschienen 2020 im Picus Verlag

Andrea, bis zur Mitte des Buches nur «die Kleine» genannt, wächst in den 60er Jahren in der Weststeiermark auf. Sie wird in eine archaische Welt hineingeboren, in der höhere Werte keinen Platz haben. Wegen ihrer zu spät diagnostizierten Hüft-Fehlstellung und ihren daraus resultierenden X-Beinen ohnehin benachteiligt, erfährt sie Zuneigung nur von ihrer Großmutter. In ihrer Familie geht es einzig und allein um die Abdeckung der Grundbedürfnisse.
Früh merkt man, dass Andrea einen wachen Verstand hat. Ihre lebhafte Fantasie führt dazu, dass sie von anderen Kindern als Außenseiterin wahrgenommen und verlacht wird, weil sie manches zu wörtlich nimmt. Trotz aller widrigen Umstände entwickelt sie einen starken Charakter. Sie denkt nach, reflektiert und hadert nicht mit ihrem Schicksal. und versucht, das Beste aus allem zu machen. Und immer wieder schafft sie es, durch ihre Unangepasstheit ihre Interessen konsequent durchzusetzen.
Beeindruckt durch ihre guten Aufsätze empfiehlt ihre Lehrerin den Eltern, das Mädchen auf eine weiterführende Schule nach Graz zu schicken. Erst als feststeht, dass dafür keine zusätzlichen Kosten anfallen, erlauben es die Eltern. Sie bekommt neue Eindrücke in der Stadt und lernt ihren Freund Arthur kennen, der aus dem Bildungsbürgertum stammt.
Durch die Begegnung mit Arthur begeistert sich Andrea zunehmend für Kunst, Theater und Musik. Andrea schwimmt sich nach und nach frei und verlässt ihr enges familiäres Korsett. Es wird ihr schließlich klar, dass sie ihren Lebensmittelpunkt verändern muss, um ihren Horizont zu erweitern.
Es hat den Anschein, dass die 1960 geborene Autorin sehr viel selbst Erlebtes in diesen Roman hat einfließen lassen. Historische Hintergründe und das politische und gesellschaftliche Zeitgeschehen fließen nebenbei in die Handlung ein und vermitteln ein authentisches Bild dieser Zeit. Sprachlich werden einige Worte aus dem steirischen Dialekt verwendet, wodurch der Roman zusätzlich Authentizität bekommt. Der Schreibstil von Gabriele Kögl ist sehr direkt. Auch dies trägt dazu bei, dass man als Leser das Gefühl hat, unmittelbar am Alltag der Familie teilzunehmen.
Der Umgang der Eltern mit Andrea ist lieblos und löst beim Lesen ein beklemmendes Gefühl aus. Trotzdem entwickelt sich Andrea dank der Liebe ihrer Großmutter zu einer starken Persönlichkeit, die sich nicht so leicht unterkriegen lässt.

Traunspiegel im Juni 2020

Blackbird, von Matthias Brandt, erschienen 2019 bei Kiepenheuer und Witsch

Mit seinen Geschichten, die 2016 unter dem Titel "Raumpatrouille" erschienen sind, hat der beliebte Schauspieler Matthias Brandt viele Leser begeistert. Mit "Blackbird" erschien im Sommer 2019 sein erster Roman, der das Erwachsenwerden eines Jungen beschreibt, der gerade einen schweren Verlust zu verkraften hat.
Der Ich-Erzähler heißt Morten Schumacher und ist 15 Jahre alt. Wir lernen ihn in einer schwierigen Phase seiner Jugend kennen. Die Eltern trennen sich nach jahrelangen erbitterten Streitereien. Als sein Vater das Haus verlässt , hat seine Mutter alle Hände voll zu tun, den Alltag zu bewältigen. Eigentlich hat Morten noch keine Ahnung vom Leben, aber das lässt er sich natürlich nicht anmerken. Auch von der Liebe versteht er noch nichts, verliebt sich aber trotzdem in die wunderschöne Jacqueline Schmiedebach. Als sie mit dem Fahrrad an ihm vorbeifährt, ist es um ihn geschehen. Bald muss er erkennen, dass ihre Oberflächlichkeit eine ernsthafte Beziehung unmöglich macht.
Zu diesem Zeitpunkt ist er plötzlich gezwungen, sich mit dem Thema Tod auseinander zu setzen. Sein bester Freund Bogi wird schwer krank. Morten schafft es nur selten, ihn im Krankenhaus zu besuchen, weil es ihn einfach zu sehr deprimiert.Sein diesbezügliches schlechtes Gewissen wird spürbar, obwohl er angesichts der deprimierenden Situation seines Freundes zunehmend sprachlos ist.
Im weiteren Verlauf des Romans verliebt er sich ein zweites Mal. Steffi geht nicht wie seine anderen Freunde aufs Gymnasium, sie macht eine Ausbildung als Schornsteinfegerin. Sie ist für ihn da, als er einen wirklichen Nervenzusammenbruch erleidet, als Bogi stirbt. Nach einer Zeit in der Klinik trifft er sie wieder. Sie gehen zusammen auf den Friedhof und versuchen sich auf ihre Art von Bogizu verabschieden.
Matthias Brandt legt seiner Hauptfigur die typische Jugendsprache aus den 70er-Jahren in den Mund. Doch trotz seiner derben Redewendungen ist Mortenein Junge, der ernsthaft wirkt und sich Gedanken macht.Speziell bei seinen Schilderungen des Schulalltags kommt auch der Humor in diesem Buch nicht zu kurz.

Matthias Brandt, geboren 1961 in Berlin als jüngster Sohn von Rut und Willy Brandt, ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Er war an renommierten deutschsprachigen Theatern engagiert, in den letzten Jahren arbeitete er hauptsächlich vor der Kamera.

Traunspiegel im Oktober 2019

Tante Martl, Roman von Ursula März, erschienen 2019 im Piper Verlag

„Tante Martl“ ist der Titel eines autobiographischen Romans der Literaturkritikerin Ursula März.

Erzählt wird die Geschichte Martinas, der dritten Tochter der Familie, des Nesthäkchens. Der Vater, der sich einen Sohn gewünscht hat, gibt in der Geburtsurkunde „männlich“ an. Erst nach einer Woche geht er auf Drängen seiner Frau zum Amt, um den Eintrag ändern zu lassen. Diese Geste der Ablehnung weist Martina unausweichlich einen Platz am Rande der Familie zu. Allerdings hindert diese Position im familiären Abseits Martl nicht daran, ihren Weg zu gehen. Trotz aller Zurückweisungen verlässt sie nie ihr Elternhaus. Paradoxerweise ist es genau diese Tochter, die er am wenigsten gewollt hatte, die besonders im Alter zur Stütze ihres Vaters wird.
Im Zentrum der Familiendynamik steht der erbitterte Konkurrenzkampf zwischen Rosemarie, der zweitgeborenen Tochter (Ursulas Mutter) und Martl. Lange Zeit fällt der schönen Rosemarie alles in den Schoß, auch ein geeigneter Gatte aus wohlhabendem Haus findet sich. Als der angehende Mediziner im Krieg fällt, erholt sich Rosemarie nie wirklich von diesem Schicksalsschlag.
Im Gegensatz dazu macht die alleinstehende Martl den Führerschein, kauft sich ein Auto, führt ein eigenes Bankkonto und arbeitet als Volksschullehrerin. Mit Schicksalsschlägen kommt sie deutlich besser zurecht als ihre Schwester. Trotz ihres schroffen Wesens bleibt die Erzählerin ihrer Tante stets verbunden. Erst bei ihrer Beerdigung wird ihr klar, wie beliebt ihre Tante als Lehrerin gewesen war. Zu guter Letzt vergewissert sie sich, dass der Steinmetz den richtigen Namen in ihre Grabplatte eingraviert: Martina.
Gerade weil die Titelgeberin kein Leben mit außergewöhnlichen Taten führt, steht die Hauptfigur stellvertretend für viele Frauen aus jener Zeit, die heute hochbetagt sind. Vieles von dem, was heute selbstverständlich ist, musste hart erkämpft werden. Auch daran erinnert dieser Roman. Dass die Autorin ihre Tante teilweise in der Pfälzer Mundart sprechen lässt, erhöht die Authentizität der Schilderung ihres Lebensweges.

Ursula März, in Herzogenaurach geboren, arbeitet als Literaturkritikerin, lebt in Berlin, hat eine Tochter und war unter anderem Mitglied der Jury des Ingeborg Bachmann Wettbewerbes in Klagenfurt.